Symbolbild: Eine lebensfeindliche Wüstenlandschaft

Mein Leben als Premiumkundin

Wer verschiedene Farben und Formen engagierter Menschenfeindlichkeit kennenlernen möchte, begibt sich am besten zu einem Kundenservice. Die Branche ist im Grunde egal, wenngleich man etwa im Bereich Telekommunikation oder Versicherungen in jedem Fall fündig wird. Die weitverbreitete Unwilligkeit, auf Menschen einzugehen, schmerzt mich nicht nur als Kundin, sondern auch als Marketing-Expertin und Texterin. Denn oft wäre mit einem planmäßigen Vorgehen, mit Kontaktoptionen, die ohne Zuhilfenahme von Detekteien auffindbar sind, mit sinnvollen Textbausteinen und einem Hauch Freundlichkeit schon so viel getan.

Stattdessen lässt einen die Begegnung mit Kundenservice regelmäßig mit dem Gefühl zurück, der allererste Mensch zu sein, der mit seinem Problem an die Gesprächspartner herangetreten ist. Dabei hören wir doch seit Jahren, dass die traditionelle Servicewüste Deutschland endlich durchschritten sei. Schließlich werden wir heute dank Chatbots und vorbereiteten, gar automatisierten Szenarien schnell zur Problemlösung geleitet. Ach, wenn’s doch nur so wäre.

Kürzlich wurde mir mein Rucksack gestohlen, in dem sich nicht nur mein Handy, sondern auch diverse Karten befanden. Der materielle und ideelle Schaden ist das eine. Das andere sind die nervenzerfetzenden Vorgänge, die mit der Klärung und Wiederbeschaffung verbunden sind, inklusive einer Anzeige bei der Polizei. Bereits auf der Wache ist das Kundenerlebnis (oder sagt man Staatsbürgererlebnis?) so mittel, aber immerhin ist der Diensthabende freundlich. Dennoch habe ich bereits hier das Gefühl, einen eher improvisierten Prozess angestoßen zu haben. Meine Angaben werden mittels Kugelschreiber und Klemmbrett in einem Flur aufgenommen, danach verschwindet mein Freund und Helfer für längere Zeit, um schließlich mit einem kleinen Notizzettel zurückzukehren, auf den er eine Vorgangskennung und eine dreißigstellige E-Mailadresse kritzelt. Falls mir noch etwas einfällt. Das tut es und ich schicke später zweimal eine ergänzende Mail in den Buchstabensalat. Es kommt keine automatisierte Bestätigung oder ähnliches, meine Nachrichten verschwinden und ich hoffe, dass alles an der richtigen Stelle landet. Deutscher Digitalisierungsstandard eben.

Schwieriger wird es bei dem Telekommunikationsanbieter meines Vertrauens, denn ich weiß das Kundenkennwort nicht, was offenbar im Pleistozän festgelegt wurde. Ich bin bei vielen Unternehmen eine „Premiumkundin“, in Kundenservice-Sprache die Umschreibung für „zu blöd, dauernd zu wechseln, um den günstigsten Anbieter oder Tarif zu finden.“ Ich bin eine treue Kundin. Über 25 Jahre bei der Bank, ebenso lange beim Strom- und Gasanbieter oder beim Internetprovider. Nicht, dass sich meine Anhänglichkeit jemals ausgezahlt hätte. Loyalität wird üblicherweise eher bestraft statt belohnt. Niemand beglückt einen mit Äquivalenten zum „Wechselbonus“ oder „Willkommensrabatt“. In meinen Ausbildungen hat man mir noch erzählt, es sei um ein Vielfaches teurer, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen bestehenden zu halten, weshalb man gerade auf letzteres besonderes Augenmerk zu legen habe. Aber davon spüren treue Kundinnen und Kunden nichts. Mein „kostenloses Girokonto“ kostet inzwischen eine Gebühr, heißt aber immer noch so. Ich bin „Premiumkundin“, das heißt in diesem Fall soviel wie: „Das merkt die eh nie“.

„Oberste Regel des Kundenservice: Simuliere Hilfsbereitschaft, mache dem Kunden aber den Kontakt so schwer wie möglich.“

Bevor ich nun also bei meinem Telekommunikationsanbieter anrufen kann, muss ich die Servicenummer suchen. Oberste Regel des Kundenservice: Simuliere Hilfsbereitschaft, mache dem Kunden aber den Kontakt so schwer wie möglich. Überschütte ihn mit FAQs zu exotischen Fragestellungen, klammere aber die naheliegendsten Themen aus. Lass ihn die Nützlichkeit der FAQs bewerten, damit er das Gefühl hat, im Dialog gewesen zu sein. Biete stumpfe Chatbots, die das Anliegen nicht verstehen. Wenn du Telefonnummern oder E-Mail-Adressen anbietest, verstecke sie so tief und so weit unten wie möglich.

Trotz all dieser Bemühungen finde ich schließlich eine Nummer und rufe dort an. Ich habe einen Business-Account, das ist ja auch eine Art Premium. Bestimmt wird man gleich verstehen, dass ich für meine Kundinnen und Kunden erreichbar sein muss. Damit man mein Anliegen „schnellstmöglich weiterleiten“ kann, muss ich meine Telefonnummer angeben. Ich muss dazu mit meiner Stimme über eine fetzige Musik sprechen und obwohl ich meine Telefonnummer fließend auswendig aufsagen kann, macht mich das Bufta-Bufta ganz irre. Auch als die Telefonnummer zur Sicherheit wiederholt wird, liegt Musik darunter, dieses Mal lauter. Wer schlecht hört, Mühe hat, sich zu konzentrieren oder mit irgendeiner sonstigen mentalen Einschränkung kämpft, ist hier schon raus. War da nicht mal was mit Barrierefreiheit? Was geht Menschen durch den Kopf, die glauben, man bräuchte zum Aufsagen seiner Telefonnummer einen Musikteppich? Warum bloß? Weil es sonst so langweilig ist? 

„Inzwischen ist seine Stimme bereits von Unlust, wenn nicht gar Unmut geprägt.“

Ich darf der ganz tollen Musik noch eine Weile lauschen, bevor sich mir ein Mitarbeiter zuwendet. Er spricht gefühlt in Tempo 0,7, also sehr, sehr langsam. Ohne das K-u-n-d-e-n-k-e-n-n-w-o-r-t können er n-i-c-h-t-s  t-u-n. Von nun ab dauert es 5 Minuten, bis es mir gelingt, das Gespräch in eine problemlösungsorientierte Richtung zu steuern. Bis ich erfahre, welche Optionen ich habe. Denn ohne das Kundenkennwort möchte der Mitarbeiter mir nicht sagen, wie man üblicherweise in einem solchen Fall vorgeht. Auch nicht theoretisch. Erst nach einer Weile kriege ich heraus, ob und wie ich ein neues Kundenkennwort festlegen kann. Dazu muss ich meinen Personalausweis scannen. Aber natürlich habe ich weder einen Personalausweis, noch ein Handy, mit dem ich ihn aufnehmen könnte, beides wurde ja Diebesgut. Eigentlich eine Standardsituation für Menschen, denen die Tasche geklaut wurde. Der Slow Motion-Mitarbeiter gibt mir allerdings das Gefühl, sehr exotisch zu sein, ein Problem, vor dem man als Kundenservice schweigend kapitulieren müsse. Ich kürze ab. Es gelingt mir schließlich, mich zu legitimieren und ein neues Kundenkennwort festzulegen. Das Ganze dauert 1,5 Tage. Ohne Handy und ohne zu wissen, wie es überhaupt weitergehen kann.

Derweil versuche ich, ein altes, akkuschwaches iPhone zu aktivieren. Eine Ersatz-SIM-Karte könnte helfen. Ich rufe wieder an und erreiche (zum dritten Mal) Mr. 0,7. Vielleicht haben sie nur den einen. Inzwischen ist seine Stimme bereits von Unlust, wenn nicht gar Unmut geprägt. Er mag einfach nicht mit jemandem sprechen, der dauernd Fragen stellt. Er wird meinen Vertrag verlängern, da ist ein neues Handy mit drin, was (vielleicht) in einer Woche kommt, nun ist aber auch mal gut. Schließlich entspinnt sich folgender Dialog:

Kann ich eine Ersatz SIM-Karte bekommen?

Ja, schon.

Was kostet die?

Nichts. Ist in Ihrem Vertrag.

Wie lange würde so etwas dauern?

Ja, auch so lang wie das Handy und die andere Karte.

Warum? Das macht doch keinen Sinn. Das muss doch schneller gehen.

Das ist ja die Karte zu dem Handy.

Nein, das ist eine Karte zu einem zweiten Handy.

Aber die gehört ja zum Vertrag.

ICH HABE AKTUELL EINEN VERTRAG MIT EINER ERSATZKARTE.

Ja.

Dann könnte ich die Ersatzkarte doch in einem alten Handy nutzen.

Schon.

Dann können Sie mir die Ersatzkarte doch schon vor dem Handy schicken.

Aber im Moment ist ihre erste Karte ja gesperrt.

Dann heben Sie die Sperre doch kurzfristig auf und schicken die Ersatzkarte raus. Außerdem hat doch der Vertrag nichts mit der gesperrten Karte zu tun.

Ja, das kann ich machen. Dauert aber einen Moment.

Wie lange denn?

Ich kann das heute noch rausschicken.

Ja, dann tun sie das doch!! Haben Sie nicht verstanden? Ich muss erreichbar sein, darum geht es doch.

Moment, Sie wollten ein neues Handy.

Auch!!!

Es ist zäh. Wie einfach wäre es gewesen: „Das tut mir leid, aber ich verstehe natürlich, dass Sie erreichbar sein müssen. Haben Sie vielleicht noch ein altes Handy oder können Sie sich eines leihen? Dann könnte ich Ihnen nämlich eine zweite SIM-Karte mit Ihrer Nummer rausschicken. Die kostet Sie auch nichts extra und wäre vielleicht schon morgen bei Ihnen. Dann könnten Sie zumindest etwas überbrücken, bis dann Ihr neues Gerät eintrifft.“

Standardproblem, Standardantwort.

Danach versuche ich, an eine neue Karte für das Carsharing zu kommen. Sie geben eigentlich keine Karten mehr raus, schreibt mir jemand beim Anbieter. Denn ich könne alle Funktionen auch mit der App nutzen. Wenn ich trotzdem eine Karte wolle, wäre das ein Extra-Service, der 25 Euro koste. Zum einen weiß ich nicht, wann die Sache mit der App wieder klappen wird, zum anderen stimmt die Aussage nicht. Das Rolltor an meiner bevorzugten (weil nächstgelegenen) Station lässt sich nur mit der Karte, nicht mit der App öffnen. Steht auch so auf der Homepage. Das schreibe ich zurück, die Karte sei kein Nice-to-have, sondern in diesem Fall unverzichtbar. Als Antwort bekomme ich eine Mail mit zwei Sätzen, fettgedruckt, offenbar um der Kundin die eigene Begriffsstutzigkeit vor Augen zu führen: „Wenn Sie wollen, können wir Ihnen eine Plastikkarte bestellen – die kostet 25 €.“ Und darunter: „Bitte bestätige deine Entscheidung per E-Mail.“ Der Wechsel der Ansprache zeigt eine ähnliche Unlust und Bocklosigkeit, wie beim Handy-Kollegen, nur dass sie sich dieses Mal im Zusammenkopieren unpassender Sätze und passiv aggressiver Pampigkeit äußert. 

Und wieder, wie einfach wäre es gewesen:

„Entschuldigen Sie unseren Fehler. Tatsächlich gibt es noch einige wenige Stationen, bei denen unsere Kundenkarte noch notwendig ist. Gern schicken wir Ihnen eine neue Karte zu. Bitte haben Sie dennoch Verständnis, dass wir für eine weitere Karte die Gebühr von 25 Euro erheben müssen.“

Ich bin bereits mürbe wie ein überlagertes Weihnachtsplätzchen, aber ich habe ja noch die Bank vor mir. Denn es gab Kartenzahlungen in dem kurzen Zeitraum, bevor ich die EC-Karte sperren konnte. Nach langer Suche auf der Homepage (siehe oben) kriege ich heraus, dass ich von der App aus telefonieren kann und somit bereits legitimiert bin. Das finde ich richtig toll, denn ich habe zwischenzeitlich eine funktionierende Ersatz-SIM-Karte und bin voll einsatzfähig. Tatsächlich treffe ich auf ich einen sehr netten, gar höflichen Ansprechpartner in der Geschwindigkeit 1,0. Ich wage kaum, auf ein positives Kundenerlebnis zu hoffen. Er selbst könne nichts tun, sagt der höfliche Mann, aber er werde für einen Rückruf sorgen. Wann es mir denn passe? Ich bin begeistert. Naja, Premiumkunde eben. Wir vereinbaren einen Zeitraum. Ich verzichte an dieser Stelle auf spannungssteigernde Ausschweifungen: Was am nächsten Tag nicht kommt, ist der versprochene Anruf. 

Der Tag verstreicht ohne das ersehnte Bimmeln und so muss ich am nächsten Morgen erneut in die Warteschleife. Die Mitarbeiterin, die ich nun erwische, war offenbar nicht im selben Lehrgang wie ihr Kollege, aber möglicherweise ja mit Slowy und Pampy in einem Seminar. Ich müsse eine Anzeige machen, sagt sie mir. Das habe ich natürlich, erwidere ich. Wenn die den Dieb dann haben, kriegen Sie ja Ihr Geld, fährt sie fort. Ich bin verblüfft, der Kollege des Vortags hatte mir eine zumindest teilweise Erstattung in Aussicht gestellt. Die Polizei gibt mir ja kein Geld zurück, sage ich, worauf die pfiffige Finanzhüterin sagt: Sehen Sie, und wir auch nicht. Ich lege auf, hole tief Luft und rufe noch einmal an. Schließlich habe ich bereits die Erfahrung gemacht, dass es hier, anders als bei meinem Telekommunikationsanbieter, mehrere Mitarbeitende gibt.

„Dafür ist Ihr persönlicher Premiumberater zuständig.“

Mein neues akustisches Gegenüber ist lässig freundlich und will sich schlau machen. Als er wieder zu mir zurückkommt, sagt er einen Satz, der wie eine Marzipanrose auf der Torte der vergangenen Kundenerlebnisse zu liegen kommt: „Hören Sie?“ brummt es aus meinem Kopfhörer. „Dafür ist Ihr persönlicher Premiumberater zuständig.“ Wahnsinn. Ich (als Premiumkundin) habe einen Premiumberater. Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. Und er hat auch einen Namen (den ich nicht kannte) und eine Telefonnummer (die ich nicht hatte). Jetzt erfahre ich beides. Ich bin aufgeregt. Gleich werde ich es am eigenen Leib spüren. Das süße Leben einer umhegten, gepflegten und umsorgten Premiumkundin. Mit einem echten Premiumberater, der nur für mich da ist. „Was macht eigentlich die Frau Schmitt“, mag er sich schon gedacht haben. „Nie ruft sie an. Dabei habe ich ihr so viel zu geben!“ Ich rufe unter der notierten Nummer an. Es antwortet eine automatisierte Frauenstimme. Mein Premiumberater, erfahre ich, sei telefonisch aktuell nicht zu erreichen. Aber vielleicht könne mir ja auch ein Blick in die FAQs schnell weiterhelfen.

Titelbild: Servicewüste (Serviervorschlag), per KI von der Autorin generiert

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