Recherche mit ChatGPT – eine Schnapsidee
Alle reden über KI, gefühlt immer und überall. Ich rede mit und höre zu, schließlich will ich noch etwas lernen. Besonders interessant finde ich, wie Menschen KI für sich nutzen, welche Vorteile sie sehen und wie sie sich die Arbeit damit erleichtern. In letzter Zeit erzählte mir immer wieder jemand, dass sie oder er ChatGPT auch zu Recherchezwecken nutze. Die KI erkläre Begriffe, erläutere historische Zusammenhänge und überhaupt – sie sage einem, was man wie schreiben könne. Toll. Auch wenn ich ein solches Tool in der Vergangenheit nie vermisst hatte – vielleicht schreibe ich Artikel damit ja 20 % schneller. Effizienter, würde Christian Linder sagen. Ich bin also gewillt, ChatGPT in diesem Sinne herauszufordern.
Als ich meine nächste Kolumne für das Magazin „Läuft“ schreiben will, fällt mir ein, wie mir ChatGPT helfen könnte. Mein Thema ist das berühmte „Did not finish“ – wenn es beim Marathon einmal so gar nicht läuft. Ich suche für meinen Text nach berühmten Marathonläufern, die ihren Wettkampf vorzeitig abbrechen mussten. Einige habe ich bereits im Kopf, aber vielleicht kennt die KI ja welche, an die ich gerade nicht denke? „Es gibt einige interessante und bemerkenswerte Fälle, in denen Sportler bei einem Marathon aussteigen mussten“, sagt sie und listet mir dann die auf, an die ich auch schon dachte und irrtierenderweise außerdem welche, die sehr wohl ins Ziel kamen, wenn auch weiter hinten im Feld.
Keine „spezifisch dokumentierten Fälle“
Ich bin nicht so recht zufrieden, aber da fällt mir noch etwas anderes ein, was ich für meinen Text brauchen könnte. Ich frage: „Kennst du lustige oder kuriose Zwischenfälle bei Marathons, bei denen Hobbyläufer zum Aufgeben gezwungen wurden?“ Die KI steigt sofort ein: „Es gibt tatsächlich einige kuriose und lustige Zwischenfälle bei Marathons, bei denen Hobbyläufer gezwungen waren, aufzugeben oder zumindest eine unerwartete Pause einzulegen.“ Und dann zählt sie mir so einiges auf. Läufer, die Abkürzungen nahmen, über Bananenschalen stolperten, sprinteten und nach 200 Metern erschöpft zusammenbrachen oder sich in Kostümen verhedderten. In London, Chicago, New York. Die Geschichten klingen seltsam und teilweise unrealistisch. Da frage ich lieber noch einmal nach: „Hast du Quellen für die Fälle in Chicago und NY? In welchem Jahr war das jeweils?“ Die KI antwortet auffällig weitschweifig und kommt zu dem Schluss: „Wenn du an konkreteren und belegbaren Vorfällen interessiert bist, bei denen Läufer aus kuriosen oder ungewöhnlichen Gründen aufgeben mussten, könnte man sich auf dokumentierte Ereignisse konzentrieren, die in Medienberichten oder offiziellen Marathonberichten festgehalten sind. Aber die erwähnten Geschichten aus Chicago und New York gehören nicht zu solchen spezifisch dokumentierten Fällen.“ Ähm ja. Dachte ich’s mir.
Ich frage also lieber wieder nach sicher dokumentierten Fällen, in denen Marathonläufer vorzeitig ausgestiegen sind. Jetzt ist mein Chatbot erneut in seinem Element und listet mir einige Namen auf, darunter den von Emil Zatopek. Ich wundere mich. Meines Wissens ist Zatopek nie bei einem Marathon ausgestiegen. Da frage ich doch besser einmal nach: „Wann ist Emil Zatopek bei einem Marathon ausgestiegen?“ Die KI antwortet mit heiterem Schwung: „Emil Zátopek, einer der größten Langstreckenläufer der Geschichte, hat in seiner Karriere tatsächlich nie einen Marathon abgebrochen. Im Gegenteil, er ist besonders berühmt dafür, dass er bei seinem allerersten Marathon, den er jemals lief, die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki gewann.“ Dann lässt sie sich weiter über Zatopeks Erfolge aus. Und sie schließt: „Wenn du von einem anderen bedeutenden Rennen Zátopeks gehört hast, das vielleicht verwechselt wurde, stehe ich gerne zur Verfügung, um mehr Informationen zu liefern.“ Nun gut. Oder auch nicht. Ich bin gewarnt. Offenbar ist die KI gewillt, mich mit einigen ihrer berühmten Halluzinationen zu beeindrucken.
„Entschuldigung für die Verwirrung“
Ich beschließe, lieber nach einem Läufer zu fragen, von dem ich sicher weiß, dass er aussteigen musste. Vielleicht kann mir ChatGPT ja mit dem Jahr aushelfen. Ich frage: „Wann ist Kenenisa Bekele bei einem Marathon ausgestiegen?“ Die KI weiß natürlich Bescheid und nennt mir einige Marathonveranstaltungen unter anderem Berlin im Jahr 2014. Das kommt mir wiederum komisch vor, daran müsste ich mich eigentlich erinnern. Besser, ich frage noch einmal: „Ist Bekele wirklich in Berlin 2014 ausgestiegen?“ Die KI ist jetzt zum ersten Mal fast ein wenig zerknirscht. „Entschuldigung für die Verwirrung. Kenenisa Bekele ist beim Berlin Marathon 2014 tatsächlich nicht ausgestiegen. Tatsächlich lief er das Rennen zu Ende und belegte den vierten Platz mit einer Zeit von 2:05:51, was eine bemerkenswerte Leistung war, auch wenn er nicht auf dem Podium landete.“ Das hilft mir nicht weiter und ich frage nochmals, wann Bekele ausgestiegen sei. Die KI nennt mir drei Marathonveranstaltungen, bei zwei davon kam Bekele tatsächlich nicht ins Ziel, den dritten Start hat ChatGPT erfunden. Langsam dämmert mir, dass mir diese Art der Unterstützung keinen Effizienzgewinn bringen wird, aber ich nehme es jetzt spielerisch und bleibe dran.
„Es scheint, dass es eine Verwechslung gegeben hat“
Zuvor hatte ich nach einem anderen Läufer gefragt und die KI hatte mir einen Marathon genannt, bei dem dieser Läufer nicht ins Ziel gekommen sei. Ich frage: „Ist Yuki Kawauchi wirklich beim Beppu-Ōita Marathon 2020 ausgestiegen?“ Mein Bot zeigt eine vorbildliche Fehlerkultur und hat gar kein Problem, ein Versehen offen zuzugeben: „Yuki Kawauchi ist beim Beppu-Ōita Marathon 2020 nicht ausgestiegen. Tatsächlich gewann er das Rennen in einer Zeit von 2:07:27, was eine persönliche Bestleistung für ihn darstellte. Es scheint, dass es eine Verwechslung oder ein Missverständnis in Bezug auf dieses Rennen gegeben hat. Kawauchi ist für seine bemerkenswerte Konstanz und seine Fähigkeit bekannt, viele Marathons erfolgreich zu beenden, und der Beppu-Ōita Marathon 2020 war in der Tat ein weiteres erfolgreiches Rennen für ihn.“ Eine Verwechslung. Das kann den besten künstlichen Intelligenzen passieren. Aber mit welchem Marathon mag die KI diesen hier verwechselt haben? Ich frage also: „Wann ist Yuki Kawauchi tatsächlich einmal ausgestiegen?“ Die KI weiß Bescheid. „Beim Saitama International Marathon 2015 stieg Kawauchi aus dem Rennen aus. Der Grund für seinen Ausstieg war eine Verletzung, die es ihm unmöglich machte, das Rennen zu beenden.“ Ich kenne mich mit japanischen Laufveranstaltungen nicht so aus, aber ich glaube nichts mehr. „Besser mal nachfragen“, denke ich. „Ist Kawauchi wirklich beim Saitama International Marathon 2015 ausgestiegen?“ Die KI überlegt es sich eine Sekunde, muss dann aber einen Irrtum einräumen. „Nein, Yuki Kawauchi ist beim Saitama International Marathon 2015 nicht ausgestiegen. Tatsächlich hat er an diesem Rennen gar nicht teilgenommen, da der Saitama International Marathon ein Frauenrennen war.“ Nun, das leuchtet ein.
„Ich hoffe, diese Information klärt die Sache“
Die KI weiß aber von einem anderen Wettkampf: „Yuki Kawauchi ist für seine bemerkenswerte Zähigkeit bekannt, und es gibt nur sehr wenige Fälle, in denen er ein Rennen aufgegeben hat. Einer der wenigen dokumentierten Fälle, bei denen er ausgestiegen ist, war beim Momochi Seaside Marathon 2019 in Fukuoka, Japan. Hier musste er das Rennen aufgrund von starkem Regen und starken Windbedingungen vorzeitig abbrechen.“ Und etwas kleinlaut fügt ChatGPT hinzu: „Es tut mir leid für die vorherige Verwirrung, und ich hoffe, diese Information klärt die Sache.“ Inzwischen fühle ich mich ausgezeichnet unterhalten und frage deshalb nochmals nach: „Ist Kawauchi wirklich beim Momochi Seaside Marathon 2019 in Fukuoka ausgestiegen?“ Die KI muss da allerdings wieder etwas verwechselt haben: „Entschuldigung für die Verwirrung in den vorherigen Antworten. Yuki Kawauchi ist beim Momochi Seaside Marathon 2019 in Fukuoka nicht ausgestiegen, sondern er hat das Rennen erfolgreich beendet.“
Eine KI am Rande des Nervenzusammenbruchs
ChatGPT scheint nun wild entschlossen, mir eine brauchbare Antwort zu geben, obwohl die KI offensichtlich nicht den Hauch einer Ahnung hat, wer, wann bei einem Marathon aufgegeben hat. Im Übereifer geht dann auch etwas völlig durcheinander: „Einer der wenigen dokumentierten Fälle, bei denen er ein Rennen nicht beendete, war der 2018 Boston Marathon, bei dem er allerdings das Rennen trotz extremer Wetterbedingungen mit eisigen Temperaturen und starkem Regen gewann.“ Oh. Poor ChatGPT. Jetzt hat die KI offenbar einen Sprung in der Platine. Dennoch ergänzt sie etwas trotzig: „Ein belegter Fall, bei dem er ausstieg, ist schwer zu finden, da er in der Regel als einer der härtesten Läufer bekannt ist. Ich entschuldige mich für die vorherigen Missverständnisse. Die Tatsache bleibt, dass Yuki Kawauchi eine beeindruckende Karriere als Marathonläufer vorweisen kann, mit einer bemerkenswerten Erfolgsquote beim Beenden seiner Rennen.“ Ich weise die KI auf ihre seltsame Antwort hin und frage erneut nach. ChatGPT, nie um eine Antwort verlegen, hat da noch eine Idee: „Yuki Kawauchi ist tatsächlich bekannt dafür, selten ein Rennen aufzugeben, und wie du richtig bemerkt hast, hat er den Boston Marathon 2018 gewonnen. Es gibt jedoch tatsächlich nur sehr wenige dokumentierte Fälle, in denen er ein Rennen nicht beendet hat. Einer dieser Fälle ist der Kitakyushu Marathon 2021. Beim Kitakyushu Marathon 2021 in Japan musste Kawauchi das Rennen abbrechen. Er hatte gesundheitliche Probleme, die ihn dazu zwangen, das Rennen vorzeitig zu beenden. Dies ist einer der wenigen dokumentierten Fälle in Kawauchis Karriere, in denen er nicht bis zur Ziellinie gekommen ist.“ Ich schlage das rasch nach, um festzustellen, dass Kawauchi bei diesem Marathon gar nicht am Start war.
„Ich entschuldige mich nochmals“
Ich habe ein bisschen Mitleid mit dem Tool und möchte ihm eine Verschnaufpause gönnen, indem ich es in seiner Muttersprache anspreche. Vielleicht tut es sich da leichter. „Did Yuki Kawauchi ever not finish a marathon?“ frage ich. Die KI scheint aufzuatmen: “One of the most notable instances was during the 2018 Helsinki City Marathon. Kawauchi entered the Helsinki City Marathon just a few months after his famous victory at the Boston Marathon 2018. However, he dropped out of the race due to exhaustion and the toll that his rigorous racing schedule was taking on his body.” Jetzt bin ich trotzig. Das hatter doch wieder erfunden, der Bot. „Beim Helsinki Marathon 2018 ist Kawauchi gar nicht angetreten“, motze ich. Die KI ist jetzt wieder kleinlaut. „Du hast recht. Yuki Kawauchi ist beim Helsinki City Marathon 2018 nicht angetreten, und daher konnte er dort auch nicht aussteigen. Ich entschuldige mich für die Verwirrung.“ Sie betont nochmal, was für ein ausdauernder Läufer Kawauchi sei und schließt: „Ich entschuldige mich nochmals für die vorherigen Fehler und danke dir für deine Geduld.“ „Da nich für!“, denke ich. Ich habe zu Kawauchi jetzt nur noch zum letzten Mal eine Frage auf Deutsch: „Ist Kawauchi jemals ausgestiegen?“ Die KI tut jetzt das, was sie am besten kann: Sie schwafelt. „Yuki Kawauchi ist bekannt für seine außergewöhnliche Ausdauer und seine Fähigkeit, fast alle Rennen, an denen er teilnimmt, zu beenden. Es gibt tatsächlich nur wenige, wenn überhaupt dokumentierte Fälle, in denen er einen Marathon nicht beendet hat. Nach sorgfältiger Recherche gibt es keine glaubwürdigen Berichte darüber, dass Kawauchi jemals einen Marathon abgebrochen hat. Sein Ruf als „Citizen Runner“ basiert auf seiner außergewöhnlichen Zähigkeit und der Fähigkeit, Rennen unter extremen Bedingungen zu beenden, was ihn zu einem beliebten und respektierten Läufer weltweit gemacht hat. Es scheint also, dass Yuki Kawauchi in seiner Karriere tatsächlich keinen Marathon vorzeitig aufgegeben hat, was seine Entschlossenheit und Widerstandsfähigkeit im Langstreckenlauf unterstreicht.“ Ich finde es ganz liebenswert, dass ChatGPT nach eigenen Angaben „sorgfältig recherchiert“, wenn auch ausgesprochen erfolglos.
„Du hast absolut recht“
Inzwischen bin ich langsam müde geworden, möchte aber nicht versäumen, auch nach den Frauen zu fragen. Hier hat die KI ein paar Ideen und nennt mir unter anderem eine kenianische Läuferin. „Mary Keitany – New York City Marathon 2018: Mary Keitany, die kenianische Marathonläuferin, die den New York City Marathon mehrmals gewonnen hat, musste 2018 das Rennen vorzeitig beenden. Sie stieg bei Kilometer 32 aus dem Rennen aus, nachdem sie unerwartet starke Schmerzen in der Hüfte verspürte. Keitany war eine der Favoritinnen des Rennens, aber die Verletzung hinderte sie daran, das Rennen zu beenden.“ Das kommt mir schon wieder spanisch vor und ein Blick in die Erfolgsbilanz von Mary Keitany bestätigt mir mein Gefühl. Ich fürchte, ich muss abermals etwas aufklären. „Mary Keitany hat 2018 in NY gewonnen“, schreibe ich. Chat GPT ist da plötzlich ganz bei mir: „Du hast absolut recht. Mary Keitany gewann tatsächlich den New York City Marathon 2018. Sie stellte in diesem Rennen eine beeindruckende Leistung unter Beweis und gewann mit einer Zeit von 2:22:48. Vielen Dank, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Entschuldige bitte den Fehler. Wenn du weitere Fragen hast oder mehr über andere Läuferinnen erfahren möchtest, stehe ich dir gerne zur Verfügung!“
„Ach ne danke, du“, denke ich und schließe das Chat-Fenster. Sollte mich künftig jemand fragen, wofür ich ChatGPT nutze, werde ich einfach sagen: Für alles, aber nicht für die Recherche.
Titelbild © Steve Johnson – unsplash.com