Die Macht der Zahlen.

Beim Musikpreis Echo waren keine Gehirnströme mehr messbar, also wurde er für tot erklärt. Ein paar Tage ist das nun schon her, im Grunde eine Ewigkeit. Der Echo ist Geschichte, die Aufregung um Rapper 1 und Rapper 2 so gut wie vergessen. Wir können uns demnach alle wieder hinlegen. Oder etwa nicht?

Es ist gut, dass etwas Ruhe eingekehrt ist. Wenn Aufmerksamkeit die Währung des 21. Jahrhunderts ist, dann haben wir Rapper 1 und Rapper 2 überreichlich bezahlt. Als Bloggerin habe ich das Privileg, die Namen der beiden „Musiker“ nicht nennen zu müssen – ich hätte mir gewünscht, dass es Journalisten in ihren Kommentaren auch nicht tun. So zweifelhaft die neu gewachsene Berühmtheit auch sein mag – es ist eine. Fans mögen natürlich argumentieren, dass Rapper 1 und Rapper 2 diese PR überhaupt nicht nötig hatten. Auch ohne die eigenwillige Jury-Entscheidung bleibt es unverrückbar im Raum stehen, dass hier Verkaufszahlen die entscheidende Rolle gespielt haben. Es lohnt sich also, kurz inne zu halten und sich zu vergegenwärtigen, dass eine unüberschaubar große Zahl an Menschen für die Werke der beiden Herrschaften Geld ausgegeben haben. Die Verkaufszahlen haben sie zum Echo getragen.

Das Zeitalter der Messbarkeit

Respekt! Sagt da der respektverliebte Möchtegernrapper und Fan. Respekt! Sagt aber auch die Musikindustrie. Sagen die Radiostationen, die Echo-Jury und im Grunde wir alle. Im Zeitalter der Messbarkeit sind wir gewohnt, Zahlen zu huldigen. Wir lieben diese Erfolgsparameter, die uns schwarz auf weiß bestätigen, dass es sich hier ganz offenbar um etwas Gutes handeln muss. Denn sonst könnten diese Zahlen schließlich nicht zustande kommen! Millionen Fliegen können nicht irren, also halten wir den Haufen, den sie umkreisen, für respektabel. Nur so ist es auch möglich, dass Hersteller teurer Uhren zahlenschwere Testimonials verpflichten und dafür im Zweifelsfall in Kauf nehmen, dass ihr Produkt neben einem benutzten Taschentuch fotografiert wird und vielleicht „Höchste Zeit zu schnäuzen!“ darunter steht. Hashtag: Hersteller. Alles ist möglich, wenn Zahlen die Sinne vernebeln.

War da nicht noch etwas anderes?

Nun könnte man argumentieren, dass es wirklich kein neues Phänomen ist, dass Zahlen im Business die Größe ist, an der sich alle orientieren. Was denn auch sonst? Und doch ist die Zahlenbegeisterung in den letzten Jahren explodiert. Mehr Klicks! Mehr Follower! Mehr Likes! Mehr Shares! Und natürlich noch immer: Mehr Umsatz! Was sagen uns all diese Zahlen über den gesellschaftlichen Wert eines Unternehmens? Was treibt Unternehmen an, außer Zahlen? War da nicht noch irgendetwas anderes? Wer honoriert dieses andere, wer gibt ihm den Stellenwert, den es verdient?

Ich wünsche mir einen Index, der etwas ganz anderes ausdrückt als Verkaufszahlen und Klicks. Wenn die natürliche Intelligenz versagt, muss eben die künstliche einspringen. Sie könnte helfen, den Erfolg eines Unternehmens und Unternehmers durch einen Anstandsindex zu ermitteln. Menschen-, Tier- und Umwelt-verachtendes Wirtschaften würden zur Abwertung führen. Altruistisches und soziales Verhalten zur Aufwertung. Konzerne mit einem üblen Index würden eine gesellschaftliche Ächtung erfahren. Rapper 1 und Rapper 2 hätten noch immer ihre Fans. Aber die Verkaufszahlen wären nicht mehr das einzige auf das alle starren, selbst im Turbokapitalismus wäre es nicht mehr so leicht, ihren religiösen Wert zu erhalten. Kunst lässt sich nicht mit einem Anstandsindex bewerten? Vielleicht nicht. Mit Verkaufszahlen aber ganz gewiss auch nicht.

„Leistung muss sich wieder lohnen“, das erhob Helmut Kohl in den 1980er Jahren zum Motto. Jetzt schreiben wir das Jahr 2018. „Anstand muss sich wieder lohnen“ wäre heute deutlich passender.

 

Nachtrag: Wer sich an dem Begriff „Anstand“ stört, dem sei die Lektüre von Axel Hackes Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und wie wir miteinander umgehen“ empfohlen.

1 Comment

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Heimar Schroeterreply
29. April 2018 at 22:20

danke dafür.

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