Werbetexte mit erhobenem Zeigefinger

„Was du in Werbetexten niemals schreiben darfst.“

Wenn ich Texte lese, die so klingen wie die obige Headline, werde ich ruckartig älter. Es wird mir bewusst, dass ich zu einer Generation gehöre, die nervösen Hautausschlag bekommt, wenn man ihr sagt, was sie tun soll, unbedingt tun muss, auf keinen Fall tun darf. In einem früheren Beitrag zum Siegeszug des Imperativs habe ich schon einmal notiert, wie sehr uns die Sprache im Netz zu Kindern degradiert, die man in Befehlsform ansprechen muss. Klicke hier! Erfahre jetzt mehr! Jetzt kaufen! Der Call to action muss sein, das haben Messungen längst ergeben. Vermutlich zuckt der Konsument innerlich zusammen, wie damals, als Mama „Iss das auf!“ gesagt hat. Und dann tut er, wie ihm geheißen.

Schreiben mit erhobenem Zeigefinger

Der verschwenderische Umgang mit Modalverben im modernen Sprachgebrauch addiert weitere Varianten elterlicher Zurechtweisung hinzu: die Handlungsanweisung und das Verbot. Seit einiger Zeit bin ich für meinen Hundeblog kommstdu hierher auf Pinterest unterwegs. Die hübschen Bilder dort sind mit unzähligen Handlungsanweisungen und Verboten bestückt. „Was du tun musst, um …“, „Was du auf keinen Fall tun darfst, wenn…“, „Warum du …. sollst“. Nun könnte man das ignorieren, für doofes Clickbaiting halten und nicht weiter drüber nachdenken. Doch wer viel im Internet unterwegs ist, Blogs sieht, journalistische Inhalte liest und Anzeigen wahrnimmt, der merkt schnell, dass das Phänomen des erhobenen Zeigefingers inzwischen flächendeckend ist.

Duzen – schon lange nicht mehr nur bei IKEA

Die Herabstufung des Lesers durch Befehlsformen, Anweisungen und Verbote wird gekrönt durch die Ansprache mit „Du“, die sich mit Macht durchzusetzen scheint, auch im professionellen Umgang mit Kunden und Klienten. Es ist einfach lockerer, argumentieren meine jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Und man versteht, wie es zu dem Label „Nicht werberelevante Zielgruppe“ für Menschen im Alter von 49+ kommen konnte. Allerdings ist diese Einteilung überholt – RTL gestand sich bereits 2013 ein, dass auch Menschen über 49 noch etwas essen und gelegentlich das Haus verlassen, also vermutlich auch etwas kaufen. Und so wurde die „werberelevante Zielgruppe“ auf bis 59 Jahre erweitert. Ab dann, so weiß RTL vermutlich, liegt man nur noch im Dunkeln und wartet auf ein Erdbeben, das endlich die Deckenbalken niederregnen lässt und der lästigen Sache namens Leben ein Ende bereitet.

Also gibt es eine Menge Menschen in Deutschland, die munter geduzt und gemaßregelt werden, obwohl sie ihre Wäsche schon sehr lange nicht mehr zu ihrer Mutter nach Hause bringen. Ende 2016 gab es in Deutschland 29,57 Millionen Menschen zwischen 40 – 64 Jahren. Tendenz bekanntermaßen steigend. 18 – 39-Jährige machen knapp 22 Millionen aus. Sie dominieren die Tonalität im Netz, setzen die Sprache, erstellen den Content. Was ich mit Ü40 als pampig und unfreundlich empfinde, sehen Jüngere mit anderen Augen. „Was du tun musst…“ ist eine willkommene Anleitung, die gern geklickt wird. Auch die oft simplifizierende Einteilung in richtig oder falsch „Wie du deinen Hund richtig belohnst“, „Warum es falsch ist, einem Hund Trockenfutter zu geben“, fällt nicht unangenehm auf. Wir alle möchten die Dinge gern richtig machen. Da ist es nur konsequent, eine Lösung auch als richtig zu deklarieren. Müssen wir das wirklich? Vielleicht ist die Welt so komplex geworden, dass wir es gewohnt sind, nach einer Anleitung zu googeln, die uns aus dem Chaos heraus führt. Vielleicht haben wir verlernt, selbst zu erkennen, was richtig oder falsch ist.

Wer schreibt für „Best Ager“?

Als Texterin muss ich auf den Wellen aktueller Sprachtrends surfen können. Wenn ich mich in Zielgruppen hineinversetze, darf mein persönliches Empfinden nicht der einzige Leitstern sein. Ein Texter ist ein sprachliches Chamäleon, die Tonalität steht im Briefing. Ich frage mich allerdings, wer bald mit den besagten knapp 30 Millionen „älterer“ Menschen sprechen soll, wer sie so respektvoll anspricht, wie sie es gern hätten. „Locker“ und „duzen“ sind keine Synonyme. Wer über 55 Jahre alt ist, dem kann ein 25-Jähriger nicht sagen, was er auf keinen Fall tun darf. Und wie er die Gabel richtig herum hält. Zumindest ist das meine Überzeugung. Aber vielleicht täusche ich mich auch und „Ü40“ hat sich längst angepasst. Und ich sitze alleine da, mit meinem nervösen Hautausschlag.

Bild © Gelpi – fotolia.de

2 Comments

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Cattyreply
20. April 2018 at 11:09

Ich möchte dem Text einerseits richtig zustimmen, andererseits vehement widersprechen 😉

Ich bewege mich oft im internationalen Kontext, in dem ja meistens geduzt wird; trotzdem empfinde ich es irritierend, wenn ich im deutschen als Kunden einfach geduzt werde. Vor ein paar Wochen war ich in einem Küchenstudio um eine Küche zu bestellen, und wir wurden dort auch einfach geduzt…ich mag es einfach nicht, und habe dort auch meine Küche nicht gekauft.

An diesen reißerischen Headlines stört mich jedoch auch, diese Einteilung in „richtig/falsch“…dieses schwarz/weiß-Denken nimmt überhand, jedoch empfinde ich die Welt als eine riesige Grauzone. Wenn man schon reißerische effekthaschende Überschriften machen möchte, kann man ja „Die Gefahren des Trockenfutters“ schreiben. Macht es vielleicht nicht besser, man hat aber niemanden geduzt, noch hat man die Welt un Gut und Böse aufgeteilt.

An einem Satz störe ich mich jedoch ungemein: „Wer über 55 Jahre alt ist, dem kann ein 25-Jähriger nicht sagen, was er auf keinen Fall tun darf. “ OH DOCH! Vor allem, wenn der 25jährige mehr Ahnung hat. Es entspricht nicht meinem Weltbild, dass die Ältere Person immer die Klügere/Weisere/Bessere ist.
Ein Beispiel: Ich leite eine Abteilung mit 12 Leuten; davon sind zwei älter als ich, einer gleich alt und alle anderen jünger; zusätzlich haben wir noch einen Azubi. Jeder davon hat ein eigenes Profil; ich wurde nicht Chef weil ich es lange genug ausgehalten habe, sondern weil meine fachlichen und sonstigen Qualifikationen mich dafür empfohlen haben. Gleichzeitig hat jeder meiner Mitarbeiter sehr viel Ahnung, und das respektiere und fördere ich. Mir darf „sogar“ der Azubi etwas erklären, wenn es ein Gebiet ist, auf dem er sich eingearbeitet hat und ich nicht. Ohne deren ggfs. anderen Ansätze würden wir immer nur das gleiche Zeug runter leiern. Wenn ich mich selbst als Maßstab setze, bin ich ja die natürliche Begrenzung. Ich möchte doch aber das die Generation nach mir noch mehr weiß und wir uns gegenseitig Anleiten.
Um es provokativ auszudrücken: Unbedingt mehr recht haben zu wollen als die Jungen, zu sagen „Wer über 55 Jahre alt ist, dem kann ein 25-Jähriger nicht sagen, was er auf keinen Fall tun darf“ ist eine Arroganz der Alten, die ich hoffentlich nie entwickeln werde.

Zugegeben: Ich bin nicht Ü40 sondern erst Mitte 30 😉

Heidi Schmittreply
20. April 2018 at 11:26
– In reply to: Catty

Hallo Catty,
danke für deinen langen Kommentar! (Voll geduzt, aber in diesem Kontext würde ich es ok finden, ich hoffe, du auch). Ich verstehe, was du meinst. Natürlich kann ein jüngerer Mensch in einer Sache besser Bescheid wissen als ein älterer. Meine Aussage bezog sich auf die Sprache und die Tonalität, also das „Wie“. „Was du auf keinen Fall tun darfst“, finde ich da einfach nicht angemessen, es sei denn, es geht um etwas wirklich Brisantes, um die Warnung vor einer Gefahr oder ähnliches. Es wird aber in der Regel bei sehr banalen Dingen eingesetzt, bei denen Lebenserfahrung durchaus eine Rolle spielt. Und dann kippt die Sache einfach. Es ist ein Unterschied zwischen „Was Sie tun können, damit Ihr Soufflé perfekt gelingt“ und „Was du auf keinen Fall tun darfst, wenn dein Soufflé gelingen soll“. Nicht nur, dass es reißerischer ist, es ist auch respektlos. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass hinter der Aussage kein Sternekoch steht, sondern im Zweifelsfall eine 3-Cent-pro Wort-Textkraft, die sich irgendwelche Soufflé-Fakten zusammengegoogelt hat.

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