Die Verkleinerung der Welt.

Im legendären Mini-Drama „Liebe im Büro“ von Loriot antwortet Evelyn Hamann alias Renate Dinkel auf die hormongeladene Aufforderung ihres Chefs „Kommen Sie hierher!“ mit der Frage „Dort, … auf die Auslegeware?“ Schon in dieser Antwort wird deutlich, warum alle Texter Loriot so viel zu verdanken haben. Er ging immer dort hin, wo’s weh tat und öffnete uns die Augen für Sprache. Der Begriff der Auslegeware ist für die Figur Renate Dinkel vollkommen alltäglich und kein bisschen seltsam. Und es käme ihr nie in den Sinn, hier nicht dieses Wort anzuwenden, nur weil es gerade erotisch zu werden droht.

Als Studentin habe ich bei der Firma Lamy in Heidelberg gearbeitet. Ich habe Stifte verpackt. Hätte ich das vor Ort so gesagt, hätten mich alle Kolleginnen entsetzt angesehen. Bei Lamy verpackt man „Schreibgeräte“. Und so etwas wie Füller oder Kulis gibt es schon gar nicht. In etlichen Firmen kennt man keine Handys oder Smartphones. Nur mobile Endgeräte.

Jedes größere Unternehmen pflegt eine eigene Terminologie. Worte werden dort so oft benutzt, bis es niemandem mehr auffällt, dass sie draußen, jenseits des Unternehmenszauns, nie verwendet werden. Deshalb müssen sie ungeachtet ihrer nichtssagenden Sperrigkeit auch oft in der Kommunikation nach außen vorkommen, schließlich sind es die korrekten Begriffe. Das klingt, als wäre es ein Indiz für Vielfalt, für die Erweiterung des gängigen Wortschatzes. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist das Eingraben in der eigenen kleinen Unternehmenswelt, in der man den Kontakt nach draußen verloren hat.

Denn meiner Erfahrung nach sind die, die auch in der B2C-Kommunikation am liebsten von so etwas wie „Auslegeware“ sprechen, besonders sensibel, wenn es um die Verwendung von Wörtern geht, die nicht zu den 1.000 häufigsten gehören. Solche werden zielsicher entdeckt und als „Füllwörter“ aussortiert oder durch ein gängigeres Wort ersetzt. So entstehen austauschbare, bohrend langweilige Texte, in denen alles innovativ, maßgeschneidert, persönlich und nachhaltig ist. Mit individuellen Lösungen für eine vertrauensvolle Zukunft, in der der Mensch im Fokus führender Experten ist, die Qualität traditionell als den Maßstab Ihres Handelns begreifen. Entdecken Sie, erleben Sie, genießen Sie. Jetzt. Denn schnell sein lohnt sich. Für 100% Erholung pur.

Neulich habe ich in einem Blogtext über Kompressionskleidung den Begriff des „Wobbelns“ verwendet, um kleine Auf- und Abwägungen der Muskulatur beim Laufen zu beschreiben. Im Deutschen gibt es das Wort nur als technischen Begriff in einem anderen Zusammenhang. Die Deutschen sagen „Wabbeln“, aber das war nicht das, was ich ausdrücken wollte. Wabbeln ist zu negativ, zu groß. Es ging nicht um Fettmassen, nur um kleine Bewegungen. Meiner Meinung nach ist es nicht so wichtig, dass es das Wort nicht gibt, so lange es jeder versteht. So lange es im Kopf ein Bild oder einen Klang auslöst. Denn das ist es doch, was wir mit der Werbung wollen. Lebendigkeit. Unterhaltung. Überzeugungskraft. Bilder. Andersartigkeit. Auffälligkeit.

Stattdessen werden Texte ängstlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengestampft. Auf Worte, die zu den häufigsten gehören. Denn mit dem Gewohnten macht man vermeintlich nichts falsch. Hauptsache, der Leser ist nicht irritiert, bleibt nicht hängen. Denn wer hängen bleibt, könnte ja aus dem Text aussteigen. Der deutsche Wortschatz beinhaltet je nach Schätzung zwischen 300.000 und 500.000 Worte. Der größte Teil der Werbung kommt locker mit 1.000 von ihnen aus, schätze ich. Bleiben mindestens 299.000 Worte, die sich danach sehnen, endlich mal ins Licht eines Citylight-Plakats gerückt zu werden. Oder ins Umfeld einer leckeren Webseite. So aber sind wir umzingelt von den immer gleichen Sätzen, die aus den immer gleichen Worten gebaut werden. In der Werbung, aber auch in redaktionellem Lesestoff banaler Zeitschriften. Der Leser wird so lange unterfordert, bis er die Texte als pürierte Kost einsaugen kann. Ohne auch nur das kleinste Stückchen, das er kauen müsste. Viele Werbetexte kann man mühelos in der Schnabeltasse zu sich nehmen. Als Argument dafür dient ein geändertes Leseverhalten. Der Leser liest nicht mehr, er scannt. Liest also nur quer und muss den Inhalt trotzdem erfassen können. Deshalb sind Bullet Points ja auch so wichtig.

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Hohles Blech aber bleibt hohles Blech, ganz gleich, ob ich mich lange oder kurz damit beschäftige. Der Wortschatz schrumpft und mit ihm die Welt, die es zu beschreiben gilt.

Seit mir das bewusst ist, ärgere ich mich nicht mehr über die piesakenden, maßregelnden Vorschläge für Rechtschreibkorrekturen im Handy oder in Word. Wenn es sich nicht gerade um echte Vertipper handelt, ist jede ignorierte Maßregelung ein Sieg über die Norm und die Langweile.

Unternehmen wollen, dass sich dem Leser ihrer Werbung große, spannende Neuigkeiten erschließen. Mit dem begrenzten Wortschatz einer kleinen Marketingwelt wird dieses Kunststück auf Dauer kaum gelingen.

 

Titelbild: Jacob Grimm, Manuskript zum „Deutschen Wörterbuch”, Quelle: Bernd Bader: Die Handschriften und historischen Buchbestände der Universitätsbibliothek Gießen, Gießener Universitätsblätter, 38/200

Upate:

Einige Wochen, nachdem ich dieses Blogpost geschrieben habe, erschien auf dem Blog PR-Blogger ein Artikel mit einer ähnlichen Aussage. Wiebke Ladwig meint das Gleiche und sagt es mit ganz anderen Worten. Fein.

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