Die Expertenschwemme.
Als Texterin bin ich gewohnt, eine Expertin unter Experten zu sein. Jede und jeder kann schließlich schreiben (zumindest nach eigenem Dafürhalten). Dass ich dieses Schicksal mit Virologen teile, war mir bis vor Kurzem nicht bewusst. In diesen Tagen sehen wir, dass es irrelevant zu sein scheint, was Menschen sagen, die sich seit Jahrzehnten mit Viren beschäftigen. Die Welt weiß es besser. Es liegt eine besondere Ironie darin, dass alle von „Panikmache“ reden, in Wahrheit aber das Gegenteil der Fall ist.
Nun ist eine unaufgeregte Haltung beinahe immer hilfreich. In den sozialen Medien kippt die Stimmung allerdings – wie so oft. Und aus „unaufgeregt“ wird eine Aufregung über die Aufgeregten. Dort werden Menschen beschimpft, weil sie ihren „eigenen Lebensstil anderen missionarisch aufdrücken wollen“. Und damit ist ausnahmsweise einmal nicht das Bevorzugen veganer Mahlzeiten gemeint, sondern die Sorge angesichts von Großveranstaltungen. Jens Spahn und die Kanzlerin (als Punching Ball noch immer beliebt) sollten den Ausfall von Events doch mal selbst bezahlen, dann würden sie diesen Blödsinn mit den Absagen schnell lassen.
Wann ist das eigentlich passiert, dass wir beschlossen haben, immer alles besser zu wissen? Dass wir jedermann misstrauen? In Facebook berichten Menschen, sie hätten „extra“ einen spontanen Urlaub in Meran gebucht. Nicht jeder treibt seine eigene Ignoranz derart auf die Spitze. Aber die Tendenz ist deutlich: Alles übertrieben, Hysterie, Panik, bei Influenza sterben viel mehr.
Das sind die Keywords dieser Tage, zusammen mit „Hamsterkäufe“. Welche Häme angesichts leerer Regale! Und die Medien lieben das Keyword – ob man damit wohl viel Traffic generieren kann? Wie unspektakulär wäre es, einfach von einer „erhöhten Nachfrage“ zu sprechen. Wenn eine 14-tägige Quarantäne zu einem realistischen Szenario wird – ist es nicht das Natürlichste der Welt, sicherheitshalber zwei Packungen Nudeln und ein paar Konserven aus dem Supermarkt mitzunehmen? Und sollte eine vierköpfige Familie nicht mal besser zwei Packungen Toilettenpapier im Hause haben? Und was passiert, wenn alle gleichzeitig diese äußerst nachvollziehbaren Gedanken hegen? Ist das wirklich ein kollektiver „Hamsterkauf“?
Sicher, es gibt Panik, es gibt Dummheit und es gibt unangenehme Folgeerscheinungen einer schwierigen Lage. Vor allem aber blüht derzeit die Egozentrik wie die Forsythien – im Lager der wenigen tatsächlichen Panikmacher ebenso wie unter den „Voll übertrieben“-Heinis.
Was helfen würde: Auf die Experten hören. Das gilt eigentlich immer. Auf Virologen, auf Klimaforscher und – das wäre wirklich total verrückt – gelegentlich auch mal auf Texter. (Natürlich jeweils m/w/d).
Die vermutlich besten aktuellen Infos zum Thema gibt es in einem Podcast von NDR Info mit Christian Drosten, dem Leiter der Virologie in der Berliner Charité.
1 Comment
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Was die sozialen Medien angeht, so gebe ich Dir recht. Betrachte ich allerdings das Leben um mich herum, so sehe ich sehr viele Menschen, die besonnen reagieren: Urlaube absagen, Konzerte meiden, sich vernünftig austauschen. Auch Menschen, deren finanzielle Existenz durch das Virus ins Wanken gerät, zucken mit den Schultern und sagen: „Besser als krank“. Ich bin, in all dieser Katastrophe, von meinem Umfeld eher positiv überrascht.