Helme retten Leben 1

Helme retten Leben – eine mehr als bescheuerte Kampagne.

Andreas Scheuer freut sich. Der Bundesverkehrsminister bekommt derzeit viel Aufmerksamkeit für seine Kampagne #HelmeRettenLeben. Via Twitter feiert er sie schon heute als die „erfolgreichste Verkehrssicherheitskampagne“.

Damit ergeht es ihm wie vielen ahnungslosen Menschen, die Aufmerksamkeit mit Erfolg verwechseln. Die Werbegeschichte kennt unzählige Beispiele von Kampagnen, über die man sprach, die ihr Ziel aber kilometerweit verfehlten. Und die Unternehmen und Marken nachhaltig schadeten. Der alte Grundsatz, dass schlechte PR besser ist als gar keine, mag für insolvente Dschungel-Insassen gelten – für Werbung ist er nicht zu gebrauchen.

Ich will an dieser Stelle zwei Dinge ausklammern, um den Rahmen nicht zu sprengen. Über Fahrradhelme ließe sich viel diskutieren, insbesondere über den Aspekt des „Victimblamings“. Immer häufiger wird verletzten Radfahrern eine moralische oder gar juristische Mitschuld bescheinigt, weil sie zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Helm trugen. Und das, obwohl sie sich im Straßenverkehr korrekt verhielten. Deshalb könnte man den Sinn der Kampagne als solche hinterfragen, doch das soll hier nicht das Thema sein. Die Verkehrspolitik des BMVI insgesamt will ich hier nicht thematisieren, das würde zu lange dauern.

Auch über den Vorwurf des Sexismus will ich nicht viele Worte verlieren. Zweifelsohne sind die Motive sexistisch, wer es nicht glaubt, mag die Definition des Begriffs googeln. Hierüber ist bereits viel geschrieben worden und das zu Recht. Allerdings bedaure ich, dass über diesen Aspekt der Kritik ein anderer zu kurz kommt: Die Kampagne ist aus werblicher Sicht ungeheuer schlecht. Und schlechte Werbung nervt. Am meisten nervt schlechte Werbung immer dann, wenn sie vom Steuerzahler finanziert wird.

Die Ausgangslage

Das Verkehrsministerium erklärt, laut Studien gelte ein Fahrradhelm bei 17- bis 30-Jährigen als „unpraktisch, unbequem und unästhetisch“. Vor allem weibliche Helmverweigerer sagen zu 70%: „Mit einem Fahrradhelm sieht man nicht gut aus“. Bemerkenswert allerdings: 60% der Befragten besitzen einen Helm. Viele von ihnen tragen ihn eben nur selten. Daraus ergeben sich zwei Dinge, die man in einer Kampagne unbedingt vermeiden sollte:

1) Menschen beleidigen, die ihren Helm tapfer tragen. Denn die Neigung, ihn zuhause zu lassen, obwohl man ihn besitzt, ist offensichtlich groß. Darüber hinaus sind Helmträger als Multiplikatoren enorm wichtig, man darf sie in der Kampagne nicht vergessen.

2) Besonders hässliche Helme zeigen, denn das würde den Grusel nur verstärken.

Bemerkenswerterweise ist beides ein entscheidender Bestandteil der Scheuer-Kampagne.

Helme retten Leben 4

 

Wie könnte eine gute Strategie aussehen?

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten: Entweder man fokussiert auf die Optik des Helms, was angesichts der Ausgangslage eine äußerst sensible Angelegenheit ist. Die Scheuer-Lösung versucht es mit so etwas wie Selbstironie und das funktioniert aus verschiedenen Gründen so nicht. Dazu später mehr. Oder – zweite Möglichkeit – man setzt auf Aufklärung und betont den lebensrettenden Aspekt des Helms. Das Risiko dabei: Drastische Fakten verleiten zum Wegschauen, Angstmacherei bleibt wirkungslos.

Die dritte Route scheint mir die beste zu sein: Man macht dem Helm zu einem Sinnbild und setzt ihn mit dem Fahrradfahren gleich. Das Rad ist zeitgemäß und besonders für junge Städter das Mittel der Wahl, um sich flexibel und frei zu bewegen. Wer Rad fährt, bricht mit dem alten Denkmuster, dass man für Mobilität ein Auto braucht. Das Rad steht damit auch für eine junge Generation, die anders tickt – unkonventionell, locker, umweltbewusst. In diesem Geist entsteht überall in den Metropolen der Welt eine Community – man könnte den Helm als Erkennungszeichen dieser großen Gemeinschaft positionieren. Gleichgesinnte, die heute aufbrechen, um die Welt zu verändern, die anders leben wollen, erkennen sich am Helm. Ein Rahmen für große Bilder und eine positive Sicht auf das lästige Ding. Rad und Helm werden eins, untrennbar. Es muss eine neue Verknüpfung entstehen – alles, was am Radfahren positiv ist, übertragen wir auf den Helm. Er gehört selbstverständlich zum modernen Lebensstil dazu. Unabdingbar: Der Helm muss dabei richtig gut aussehen.

Fahrrad fahren mit Helm Kampagne

 

Und was haben wir jetzt?

Den Begriff „Lebensstil“ verwendet auch der Fotograf der vorliegenden Kampagne, Rankin. Er wolle die Zielgruppe mit seinen Bildern für „diesen Lebensstil“ interessieren. Vermutlich sollte es uns nicht verwundern, dass ein Modefotograf halb nackt Herumliegen und kuhäugig in die Kamera Gucken für einen Lebensstil hält. Das ändert allerdings nichts daran, dass es keiner ist.

Text und Bild haben herzlich wenig miteinander zu tun. Sollen die Models nun gut aussehen (Unterwäsche) oder nicht gut (Helm)? Was sagt uns „Looks like shit“ angesichts stark gestylter Models, die mithilfe von besonders fiesen Helmmodellen lächerlich gemacht werden? Warum tragen sie überhaupt nur Unterwäsche? Und warum – um alles in der Welt – tragen sie Helme? Sicher kann Sex lebensgefährlich werden, das gilt aber nur für bestimmte Praktiken und auch dabei hilft ein Helm nicht. „Helme retten Leben“ ist das Motto der Kampagne. Üblicherweise fasst ein Motto die Aussage der gesamten Idee zusammen. Im übrigen Text und im Bild wird aber weder klar, dass Helme Leben retten, noch warum Helme Leben retten. Es ist einfach ein angeflanschter Satz, der in den Motiven keinerlei Halt findet. Was soll uns das alles überhaupt sagen?

Nach einigem Nachdenken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Kernbotschaft lautet:

Selbst, wer in Unterwäsche gut aussieht, trägt gelegentlich gern einen hässlichen Helm.

Oder kürzer: Einen schönen Menschen entstellt nichts.
Ob man mit dieser Botschaft auch nur eine einzige Person dazu bringt, künftig beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen, darf man getrost bezweifeln.

 

Bild © RyanJLane – istockphoto.de

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