Meinung sagen

Warum das Wort „Meinung“ so oft falsch verwendet wird.

Der Begriff „Meinung“ ist ein echtes Trendwort. Neben der „freien Meinungsäußerung“ und der „Meinungsfreiheit“ taucht er auch in seiner puren Form überall auf. Häufig kommen ähnlich lautende Konstruktionen zum Einsatz wie „Meine Meinung!“ oder auch „Ich habe meine Meinung und du hast deine“, was Meinungstoleranz vorgaukelt, aber exakt das Gegenteil bedeuten soll. Ich will einmal zeigen, warum das so ist.

Mit Meinungen wird man nicht geboren, sie werden „gebildet“, entwickeln sich also in einem Prozess. Im Verlauf dieses Prozesses spielen zwei Dinge eine große Rolle: Erfahrungen und Wissen. Beispiel: Ein Baby, das keinen Brokkoli essen will, obwohl es ihn noch nie gekostet hat, äußert durch Kopfschütteln, dass es keinen Brokkoli mag. Eine Meinung drückt das deshalb noch nicht aus. Eine Ahnung vielleicht, ein Vorurteil.

Zu einer Meinung gehören Erfahrung oder Wissen

Hat das Baby den Brokkoli zuvor schon einmal ausgespuckt, liegt die Sache allerdings anders. Jetzt kommt Erfahrung hinzu. Das Kind ist nun aufgrunddessen der persönlichen Meinung, dass Brokkoli nicht schmeckt. Einige Jahre später liest das Ex-Baby vielleicht in einem Artikel, dass Brokkoli viele Schwefel- und Bitterstoffe enthält, was den Geschmack der grünen Röschen beeinflusst. Die Erfahrung wird nun durch Wissen angereichert und die Meinung des Brokkoliverweigerers fundierter. Dennoch: „Brokkoli schmeckt nicht“ bleibt eine sehr persönliche Sache. Es wäre daher sinnvoll, zu sagen: „Mir schmeckt Brokkoli nicht“ oder „Meiner Erfahrung nach schmeckt Brokkoli nicht.“ Bei „Brokkoli schmeckt nicht – meine Meinung!“ wird Persönliches nur nachgeschoben. „Brokkoli schmeckt nicht“ ist der Kern der Aussage und die ist absolut. So funktioniert die deutsche Sprache, sie macht sehr genau deutlich, ob eine Einschränkung ehrlich ist oder nicht.

Man kann nicht zu allem eine Meinung haben

Angenommen, ich fahre heute zur Europäischen Raumfahrtorganisation ESA nach Darmstadt. Dort postuliere ich in einem Gespräch mit dem Missionsdirektor Rolf Densing, dass man – meiner Meinung nach – im All heutzutage keine Raumanzüge mehr braucht. Sollte der dann nicht sofort nach einer psychologischen Betreuung für mich rufen, sondern erst einmal widersprechen, sage ich: „Meine Meinung! Ich habe eben meine Meinung und Sie haben Ihre.“ Und damit auch: „Sie haben am Max Planck Institut für Radioastronomie studiert und arbeiten seit 25 Jahren in der Raumfahrt? Interessiert mich null!“

Was will ich mit diesem Beispiel sagen? Wenn sowohl Erfahrung als auch Wissen fehlen, kann es keine Meinung geben. Und selbst, wenn ich mein Geblubber als „Meinung“ bezeichne, dann kann es nicht dasselbe benennen wie das, was Herr Densing zu diesem Thema hat. Sein Hintergrund an Erfahrung und Wissen fehlt mir, meine Meinung kann der seinigen nicht gleichgestellt sein.

Meinung – oder doch etwas anderes?

Natürlich können Menschen mit Erfahrung und Wissen auf einem Themengebiet zu unterschiedlichen Meinungen kommen. So verhält es sich in Politik und Wissenschaft andauernd. Dann werden dieselben Fakten eben unterschiedlich bewertet und andere Schlüsse daraus gezogen. Das betrifft insbesondere Maßnahmen die Zukunft betreffend. Welche Lösung die beste ist, weiß man nicht immer, man „meint“ es nur, folgt bestimmten Annahmen.

„Ich habe meine Meinung und du hast deine“ macht den Begriff der Meinung allerdings oft zu etwas Diffusem, dem man nicht widersprechen kann. Doch für so etwas gibt es im Deutschen das Wort „Gefühl“. Gefühle bildet man sich nicht, sie sind einfach da, oftmals plötzlich. Sie brauchen keine konkreten Erfahrungen und schon gar kein Wissen. Sie sind nie richtig oder falsch, weil sie keine Fakten beschreiben. „Mein Gefühl sagt mir etwas anderes“ wäre deshalb in den meisten Fällen die passendere Formulierung.

Wer besonders laut „Meine Meinung!“ ruft, fühlt meist seine Meinungsfreiheit bedroht. Auch das im Übrigen ein Begriff, der häufig falsch verwendet wird. Die Meinungsfreiheit ist durch Artikel 5 des Grundgesetzes gesichert und wird nicht angetastet, wenn ein Mensch einen anderen bei Facebook sperrt.

Fazit:

Würden wir statt zum Meinungsbegriff öfter zu den Formulierungen „meiner Erfahrung nach“, „meines Wissens“ oder auch „nach meinem Gefühl“ greifen, könnten wir differenzierter, ehrlicher und zielführender miteinander diskutieren. „Meine Meinung!“ beschreibt dagegen eine bereits vollständig abgeschlossene Meinungsbildung, die jede Diskussion ohnehin überflüssig macht.

Titelbild: Wikimedia Commons, NASA, Astronaut Michael Edward Fossum

 

 

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